„… und ein bisschen weise“

„Oho“, mag man da sagen, „der hat aber reichlich Selbstbewusstsein!“

Aber so ist das „ein bisschen weise“ nicht gemeint. Es ist eher die Einsicht, dass ich mit zunehmendem Alter die Dinge um mich herum, die Menschen und mich selbst anders sehe als früher. Und das bedeutete gleichzeitig, Veränderung als Gewinn und Entwicklung als Reichtum zu erkennen.

Dazu musste ich auf eine neue Art sehen lernen. Es waren Begegnungen mit Menschen und auch Erfahrungen mit mir selbst, die mir die Augen öffneten für all das, was auch Wirklichkeit ist neben dem, was wir auf den ersten Blick für wirklich halten.

So erging es mir auch mit der Malerei. Da gab es die Begegnung mit einem Künstler, der mich in seinem Atelier an der Entstehung eines Bildes teilhaben ließ und dann sagte: „So, nun versuch es selber!“

Ich hab’s gewagt und Farben gekauft und Papier und es so gemacht wie er. Zum Glück habe ich sehr schnell erkannt, dass das Imitieren der falsche Weg war, weil er nicht zu mir führte.

Kunst – ein roter Faden in meinem Leben

Beim Nachdenken über das, was ich da tat und was ich dabei erlebte, meldeten sich immer neue Erinnerungen:

Kunsterziehung in der Schule – ganz praktisch

Ich denke an das Fach Kunsterziehung in den ersten Jahren des Gymnasiums. Erst jetzt habe ich erkannt, dass Herr Dr. Munkes, den wir damals nie so richtig ernst genommen haben, uns solide und umfassende Kenntnisse und auch Fertigkeiten vermittelt hat: Malen mit Wasserfarben, Farbmischungen und Farbenkreis, Zeichnen mit Bleistift und Tusche, Farbkompositionen im Stil von Mondrian usw.

Begeisterung für Kunstgeschichte

Dr. Berkenkopf begeisterte uns in den letzten Schuljahren für die Kunstgeschichte, weil er für dieses Fach und für Philosophie und für Geschichte und für Französisch brannte und bei passendem Anlass seine ganze Begeisterung in eine einzige Stunde packte.

Florenz – geradezu existenziell

Die Begegnung mit der Kunst der Renaissance bei einer Studienfahrt nach Florenz wurde für mich zu einem geradezu existentiellen Bildungserlebnis. So viel Malerei und Bildhauerei und Architektur an einem Ort, ich konnte nicht genug kriegen von allem.

Es waren die Momente, in denen ich darüber erstaunte, wie sehr mich die Architektur einer Kirche oder die Komposition eines Gemäldes im Innersten berühren konnten und mich still und andächtig werden ließen.

Auch ein Punkt ist Kunst

So charmant und liebenswert: Das wunderbare Büchlein „Der Punkt“ von Peter H. Reynolds. Schon vor etlichen Jahren habe ich es kennengelernt und seitdem immer wieder gern zitiert. Es erzählt davon, wie ein Mädchen glaubt, nicht zeichnen zu können, und dann mit Hilfe seiner Lehrerin erkennt, dass auch ein Punkt Kunst sein kann. Das ist im Übrigen eine Mutmach-Geschichte für viele Gelegenheiten!

Der rote Faden, so könnte man sagen, hat allerdings auch seine Farbe gewechselt. Das waren dann die Jahrzehnte, in denen ich versuchte, das Fotografieren mit einigem Anspruch zu betreiben und von anderen zu lernen.

Einer der Höhepunkte war dabei der dreitägige Workshop mit Alessandro Vanucci in Siem Reap (Kambodscha), bei dem wir die Tempelanlagen des untergangenen Angkor erkundeten, immer frühmorgens, bevor die Touristenströme hereinfluteten.

Ein zweiter Faden – Kunst in der Küche

Schon als Kind habe ich gerne gekocht. Es machte mir Spaß, so wie es wahrscheinlich vielen Kindern Spaß macht. Auch als ich älter wurde, blieb ich dem Kochen treu und scheute auch nicht die kulinarische Gestaltung von Familientreffen.

Drei Sterne für die Kunst des Kochens

Die Wende brachte ein Besuch im damaligen Drei-Sterne-Restaurant „La Vie“ bei Thomas Böhner in Osnabrück. Bis zu diesem Abend hatte sich mein Hobby vor allem darauf konzentriert, einige Speisen just in time auf den Tisch zu bringen, damit die Familie oder die Gäste nicht nur satt wurden, sondern damit es ihnen auch schmeckte. Ach ja, und damit sie mich nachher lobten, was gut war für mein Ego. Kochen als Handwerk, so könnte man das nennen, gelingende Rezepte und funktionierendes Kochmanagement.

Und dann kamen im „La Vie“ die Kunstwerke eines mehrgängigen Menüs auf den Tisch.

Im Einzelnen erinnere ich mich nur noch an ein winziges Stückchen Gelbschwanz-Makrele auf irgendetwas …

Was ich aber nie vergessen werde, das war mein geradezu fassungsloses Staunen über ein Gesamtkunstwerk, das meine Nase und meinen Gaumen, vor allem aber meine Augen schwelgen ließ in einem ästhetischen Erleben, das mir noch nie zuvor vergönnt gewesen war.

Danach begann ich in der Küche zu malen. Ich begeistere mich daran, wie das Blanchieren die Farbe verstärkt, ich beachte bei den Zutaten eines Gerichts auch die Komplementärfarben und denke beim Anrichten auf dem Teller an die horizontale und die vertikale Komposition.

Eben an „Koch-Kunst“ …

Und warum jetzt die Malerei?

Ich sagte es schon: die Begegnung mit einem Menschen, der mir sagte: “So, nun versuche es selber!”  Da fühlte ich mich tatsächlich ein bisschen wie Ina in der wunderbaren Erzählung “Der Punkt. Kunst kann jeder”. Und ich habe auch erkannt, dass das Imitieren wenig befriedigend war.

Erste Hilfe versprachen YouTube-Anleitungen. So entstanden denn meine ersten höcht dilettantischen Versuche in der Aquarelltechnik. Die Suche ging weiter und ich kam zur Acrylmalerei, und wieder die Frage: “Wie mache ich es richtig?”

So landete ich bei Insa Hoffmann und ihren Kunst-Kursen, die neben allen Fragen von “Wie mache ich es richtig?” vo allem eins in mir wachrief, nämlich die Frage “Waum will ich eigentlich malen?”

Die Antwort liegt in der Verbindung

Ich weiß noch, wie ich da rumstotterte, weil ich mit dieser Frage nicht gerechnet hatte. Nach längerem Nachdenken fand ich dann eine Antwort, indem ich die unterschiedlichen Fäden in meinem Leben neu entdeckte und miteinander verknüpfte:

  • die Sinnlichkeit des Kochens (… und Essens…),
  • die intellektuelle Beschäftigung mit Kunst,
  • die aufregende Erfahrung im Prozess des Malens.

Was ist da aufregend? könnte man fragen. Und wieso Altersweisheit … oder so ähnlich? Und was hat so etwas Triviales wie Kochen mit Kunst zu tun?

Die Antwort liegt in der Verbindung, oder besser in der Aufhebung der Wirklichkeiten, mit denen ich aufgewachsen bin.

Ein weißes Blatt ist nicht nichts

Ein weißer Bogen Papier ist nicht ein Nichts, sondern ein Raum, der gefüllt werden will. Es kann lange dauern, bis ich ihn betrete, mich in ihm bewege, hier und da eine farbige Fläche versuche oder eine suchende oder eine schnelle Geste. Es kann lange dauern, bis da etwas “entsteht”, Fläche oder Linie, Es kann lange dauern, bis dieses Etwas mit mir spricht, bis dieser Dialog zu einer Antwort führt, die ich, merkwürdig genug, nicht immer verstehe.

Deshalb steht am Anfang auch nicht die Idee: “Jetzt male ich ein XXX…” Am Anfang steht bei mir die “Lust des Beginnens”, wie Brecht es einmal gesagt hat, einfach anzufangen mit einer Bewegung, in der Farbe, zufällig ausgewählt, zufällig angeordnet, in einer “un-bedachten” Bewegung zur Fläche wird oder zur Linie und damit die Tür öffnet für Fantasie, Traum, Neues.

Diese wunderbare Erfahrung mache ich nun fast jeden Tag aufs Neue.

Und werde dabei, hoffentlich, jedes Mal ein ganz klein wenig weiser…